Besonders verletzliche Personen
- Flüchtlinge, Asylsuchende und Staatenlose bilden eine der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen der Welt. Alle Flüchtlinge und Asylsuchende benötigen einen speziellen Schutz. Innerhalb dieser Gruppe gibt es jedoch Menschen, die noch grösseren Risiken, Herausforderungen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Sie brauchen zusätzlichen Schutz.
- Zu den Gruppen oder „Kategorien“ von Personen, die oft als (besonders) verletzlich bezeichnet werden, zählen zum Beispiel unbegleitete Minderjährige, Kinder, Schwangere, Familien mit kleinen Kindern, Opfer von Folter, unmenschlicher Behandlung oder Vergewaltigung oder Menschen mit Behinderung, kranke oder ältere Menschen.
Was für Rechte haben Flüchtlinge und speziell besonders verletzliche Personen?
Das Recht auf den Schutz ihrer Menschenrechte
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
- Europäische Menschenrechtskonvention
Das Recht, in anderen Ländern Schutz vor Verfolgung zu suchen und gewährt zu bekommen
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 14: „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu geniessen.“
Das Recht, nicht aus einem Land vertrieben zu werden, und das Recht, in ihr eigenes Land zurückzukehren
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 13: „Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates. – Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschliesslich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren.“
Das Recht, nicht in ein Land zurückzukehren, in dem sie verfolgt oder gefoltert werden oder keinen Zugang zu angemessenem Schutz haben (Non-Refoulement-Prinzip)
- Antifolterkonvention Art. 3: „Ein Vertragsstaat darf eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden.“
- Flüchtlingskonvention Art. 33: „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“
- Schweizerische Bundesverfassung Art. 25: „Flüchtlinge dürfen nicht in einen Staat ausgeschafft oder ausgeliefert werden, in dem sie verfolgt werden. (…) Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht.“
Das Recht auf Gesundheit und den Zugang zu Sozial- und Gesundheitsdiensten
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 25: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschliesslich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet; er hat das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“
- UNO-Menschenrechtsabkommen, Pakt I (Sozialrechte), Art. 12: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit an.“
Die Rechte des Kindes im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen, insbesondere dem Grundsatz der „besten Interessen“, dem Recht auf Bildung und besonderen Schutz für die UASC (unaccompanied and separated children)
- Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989
Das Recht auf Schutz vor willkürlicher Inhaftierung
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Art. 3: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ und Art. 9: „Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.“
- UNO Menschenrechtsabkommen, Pakt II (Bürgerrechte), Art. 9: „Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seine Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens.“
Das Recht auf Nichtdiskriminierung aufgrund der Rasse, der Religion und des Geschlechts
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 2: „Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer und sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen.“
- UNO-Menschenrechtsabkommen Pakt I (Sozialrechte), Art. 2: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, zu gewährleisten, dass die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status ausgeübt werden.“ sowie Pakt II (Bürgerrechte), Art. 2: “ Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten.“ und Art. 26: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. In dieser Hinsicht hat das Gesetz jede Diskriminierung zu verbieten und allen Menschen gegen jede Diskriminierung, wie insbesondere wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, gleichen und wirksamen Schutz zu gewährleisten.“
Das Recht auf Freiheit von Sklaverei und Zwangsarbeit
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Art. 4: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen verboten.“
Das Recht auf ein faires Verfahren
- EMRK, Art. 6: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“
Das Recht auf eine angemessene Anhörung mit Hilfe eines Dolmetschers
- Asylgesetz Art. 29: „Das SEM hört die Asylsuchenden zu den Asylgründen an: (a.) in den Empfangs- und Verfahrenszentren; oder (b.) innerhalb von 20 Tagen nach dem Entscheid über die Zuweisung in den Kanton.Es zieht nötigenfalls eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher bei. Die Asylsuchenden können sich von einer Vertreterin oder einem Vertreter und einer Dolmetscherin oder einem Dolmetscher ihrer Wahl, die selber nicht Asylsuchende sind, begleiten lassen.“
Garantieren Europa und die Schweiz diesen Schutz?
- Flüchtlingsorganisationen kritisieren, dass das Dublin-Verfahren die speziellen Schutzbedürfnisse von besonders verletzlichen missachte.
- Die Schweiz hat im Dezember 2008 begonnen, das europäische Abkommen von Dublin umzusetzen. Die Dublin-Verordnung regelt anhand verschiedener Kriterien (Bereits anwesende Angehörige in einem europäischen Land, vorhandenes Visum, Ersteinreiseland, …), welcher Staat für die Behandlung eines Asylgesuchs zuständig ist. Gestützt auf diese Verordnung können die Schweizer Asylbehörden die Gesuchstellenden an den europäischen Vertragsstaat überstellen, der nach den Dublin-Kriterien für das Asylverfahren zuständig ist und, nach dem Schweizer Asylgesetz Asylgesuche mit einem so genannten Nichteintretensentscheid (in der Folge Dublin-Entscheide) beantworten. Die Schweiz gehört zu den Ländern, die am meisten Dublin-Entscheide trifft und am meisten Asylsuchende in andere Vertragsstaaten zurückweist. Seit 2009 waren jeweils ein Viertel bis ein Drittel aller Asylentscheide Dublin-Entscheide.
- Die Schweiz weist weiterhin regelmässig alleinerziehende Frauen mit Kleinkindern, Behinderte oder Kranke aus und verletzt dabei oft die Uno-Konventionen über die Rechte der Kinder und von Menschen mit Behinderungen und das Recht auf ein Familienleben.
- Gegenwärtig führt die Schweiz unter dem Dublin-Regime am meisten Personen nach Italien zurück, obschon dieses Land nicht allen verletzlichen Personen eine angemessene Unterbringung und den notwendigen Schutz garantieren kann.
- Die Dublin-Verordnung umfasst jedoch ausdrücklich eine spezielle Klausel: Jeder Mitgliedstaat hat die Freiheit, ein eingereichtes Asylgesuch aus humanitären Gründen und in Härtefällen selber zu behandeln – auch dann, wenn nach Dublin-Kriterien ein anderes Land zuständig wäre.
- Die Schweizer Sektion von Amnesty International hat im April 2017 eine Petition lanciert, die fordert, dass die Schweiz diesen humanitären Spielraum vermehrt nutzen und Asylgesuche, von Personen, die aus einem anderen europäischen Land in die Schweiz eingereist sind, selber behandeln solle, wenn: es sich um Familien / Alleinerziehende mit Kleinkindern oder Kindern im Schulalter handelt, medizinische Probleme eine regelmässige Behandlung erfordern,die Betroffenen in der Schweiz wohnhafte Familienangehörige haben oder andere aussergewöhnliche Umstände und humanitäre Gründe vorliegen. Es geht dabei nicht allein um die Menschenrechte von Flüchtlingen und um den Schutz besonders verletzlicher Personen, sondern auch um Solidarität mit Ländern wie Italien, die an den Aussengrenzen Europas liegen und aufgrund dessen mit viel mehr Asylgesuchen als die Schweiz konfroniert sind. Sie können die Petition hier unterzeichnen: https://www.dublin-appell.ch/de/
Literatur
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
- Asylgesetz vom 26. Juni 1998
- Amnesty International: Flüchtlingsrecht. Online unter www.amnesty.ch.
- Europäische Menschenrechtskonvention
- Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht: Besonders verletzliche Personen im Dublin-System: Das Beispiel Italien. Online unter http://beobachtungsstelle.ch.
- Übereinkommen über die Rechte des Kindes
- UNHCR: Caring for the Vulnerable | Helping those with special needs. Online unter www.unhcr.org.
Redaktion: Magdalena Urrejola Balçak und Natalie Marty. Grafiken: Kollektiv fluchtpunkt Innenarchitektur & Szenografie